Der SSW bringt die Idee eine*r Klimaschutzbeauftragten ins Spiel, der*die direkt beim Kieler Oberbürgermeister angesiedelt sein soll. Damit offenbart der SSW wenig Verständnis darüber, wie Klimaschutz effektiv geplant und umgesetzt werden muss. Ich hätte da einige Ideen, was wir wirklich brauchen.
Vollmundig verspricht sich der SSW ein Wunder von eine*r*m Klimaschutzbeauftragten, der*die ähnlich wie die Gleichstellungsbeauftragte ein Auge auf die Klimaschutzmaßnahmen in Kiel haben soll. Ein weiterer Mensch, der die Aufgabe hat, Klimaschutz in der Verwaltung anzumahnen? Kann das funktionieren? Die Antwort ist eindeutig nein, denn das ist zu wenig.
Was wir brauchen ist eine strukturelle Veränderung, sowohl in der Verwaltung als auch in der Selbstverwaltung, denn der Klimaschutz ist nicht nur dringlich, sondern die Aufgaben werden in den nächsten Monaten und Jahren massiv zunehmen. Es steckt viel Arbeit in der Bauwende, in der Verkehrswende, in der Ernährungswende, in der Energiewende und auch im kommunalen Haushalt. Zusätzlich kommen noch kommunikative Aufgaben hinzu, die die Bevölkerung über alle notwendige Veränderung transparent aufklärt und Räume für Mitgestaltung, Innovation und private Investitionen schafft. Nicht zuletzt ist bereits jetzt ein massiver Fachkräftemangel in allen Bereichen, die den Klimaschutz betreffen, zu erkennen, der schnellsten aufgelöst werden muss.
Aus diesen Gründen brauchen wir:
1. Neuaufteilung der Ausschüsse
Im Moment spielt der Umwelt- und Klimaschutz eine eher untergeordnete Rolle in zwei überladenen Ausschüssen: dem Bauausschuss und dem Innen- und Umweltausschuss. Die Verkehrswende wiederum findet in einem ganz anderen Ausschuss statt, dem Wirtschaftsausschuss. Der Dauer-Tagesordnungspunkt “Klimaschutz” ist im Innen- und Umweltausschuss sogar an die vorletzte Stelle gerutscht. Nach 3-4 Stunden Ausschusssitzung hat hier kaum noch ein Mitglied die notwendige Aufmerksamkeit, um sich ausreichend mit den Ideen der Verwaltung zum Klimaschutz auseinander zu setzen. Daher macht es Sinn, eine Neuordnung der Ausschüsse anzustreben und so einen Ausschuss für Klima, Umwelt und Mobilitätswende zu schaffen.
2. Dezernat für Umwelt, Klimaschutz, Energie- und Mobilitätswende
Dieser Punkt ist eine persönliche Meinung von mir, den ich zur Diskussion stellen möchte.
Wie oben beschrieben, wird es einen erheblichen Aufwuchs an Mehraufgaben durch den Klimaschutz, die Klimawandelfolgen-Bekämpfung, den Katastrophenschutz, Sanierungen und die Verkehrswende geben. Allein der Bau der Stadtbahn ist ein Millionenprojekt, bei dem nicht nur Planung und Bau, sondern vor allem kommunikative Herausforderungen bewältigt werden müssen. Daher macht es Sinn, hier einen weiteren Kopf in der Verwaltungsspitze zu etablieren, der*die sich mit dem Oberbürgermeister und den bestehenden Dezernent*innen auf Augenhöhe für die Belange des Klima- und Umweltschutzes, der Energiewende und der Mobilitätswende einsetzt und dafür die notwendigen Kapazitäten vorweist. Das derzeitige Baudezernat ist zu groß, um einen weiteren Aufwuchs von Aufgaben sinnvoll voranzutreiben. Mit einer Stadtbaurätin, die leidenschaftlich die Bau- und Sanierungsprojekte vorantreibt und eine*m*r Klimaschutz-Dezernent*in, der*die klimaschutzrelevante Maßnahmen umsetzt, wäre Kiel sowohl bei der Stadtentwicklung als auch im Klimaschutz optimal aufgestellt.
3. Land und Bund müssen weiche Faktoren des Klimaschutzes fördern
Öffentlichkeitsbeteiligung
Die Antwort auf mehr Klimaschutz ist meist immer: Mehr Geld. Doch es nützt uns kein Geld der Welt, wenn es keine Menschen gibt, die die Maßnahmen umsetzen bzw. akzeptieren. Gerade in Puncto Kommunikation und moderner Bürger*innen-Beteiligung sind deutsche Verwaltungen mager aufgestellt. Unter Transparenz und Beteiligung wird noch immer eine eindimensionale Informationspolitik verstanden, mit der Dialog kaum möglich ist. Dabei sehen wir z.B. anhand der bestehenden Klima- und auch Corona-Bürgerräte (wie z.B. in Augsburg), dass viel Akzeptanz für notwendige Veränderungen und ein gemeinsames, ganzheitliches Denken möglich ist, wenn Menschen mit unterschiedlichen Meinungen und Blickwinkeln sich zusammensetzen und miteinander diskutieren. Nur so entsteht eine echte Meinungsbildung, in der sich jede*r respektiert fühlt. Daher ist es wichtig, die Kommunen finanziell so auszustatten, dass auch das Thema Kommunikation, Transparenz und Beteiligung den notwendigen Stellenwert erhält. Da Kommunikations-Expert*innen stark nachgefragt sind, muss auch die Eingruppierung dieser Berufsgruppe verbessert werden, um überhaupt fähige Leute zu bekommen.
Ausbildung
Zudem müssen Bund und Länder erheblich in die Ausbildung, Umschulungen sowie Weiterbildung investieren, um den schon jetzt kritischen Fachkräftemangel zu bewältigen. Neben Klimamanger*innen müssen z.B. auch die Bau- und Architektur-Berufe einen klaren Kurs in Richtung nachhaltiges und klimagerechtes Bauen und Sanieren sowie Abriss und Neuverwertung (Urban Mining) erhalten. Gebraucht werden auch Planer*innen für Nahverkehrssysteme, Fahrrad-Expert*innen usw. Auf schnellem Wege sollten die Kommunen Trainee-Programme etablieren, um eigenen Nachwuchs zu generieren. Vorbild könnte hier das Trainee-Programm Stadt*Talente der Stadt Kiel sein.
Baustoffe
Nicht zuletzt müssen Investitionsanreize geschaffen werden, um die Verfügbarkeit notwendiger Baustoffe (auch durch Recycling) zu sichern. Denn wie oben beschrieben nützt uns alles Geld nicht, wenn niemand etwas bauen kann.
4. Controlling-System über den Umsetzungsstand der beschlossenen Klimaschutz-Maßnahmen
Der kommunale Haushalt muss zum Klimahaushalt werden. Das bedeutet u.a. die Einführung eines wirkungsorientierten Haushaltes mittels Kennzahlen sowie eine Ausweisung der Klimaauswirkungen in den Vorlagen. An beidem wird in Kiel aktuell gearbeitet.
Zudem sollte die Selbstverwaltung immer wieder von Neuem die bereits beschlossenen Maßnahmen und deren Umsetzungsstand vor Augen geführt werden, um so eine gemeinsame Kontrolle zu ermöglichen, sachgerechte Debatten zu etablieren und Möglichkeiten der Nachsteuerung bzw. Verschärfung und Beschleunigung zu schaffen. Dies kann durch ein entsprechendes standardisiertes Berichtssystem umgesetzt werden, das sowohl den Ausschüssen als auch den Bürger*innen zur Verfügung steht.
Natürlich sind viele Dynamiken in unserer Gesellschaft nicht planbar und in der Regel von mehreren Faktoren abhängig, die z.B. Unternehmen dazu veranlassen, verstärkt in bestimmte Bereiche zu investieren oder Menschen dazu zu bringen, ihr Verhalten zu verändern. Aber gerade deshalb ist es so wichtig einen Überblick zu haben und auf Grundlage dessen sich stetig (also agil) an die neue Situation anzupassen, die durch die Veränderung ausgelöst wurde. Gerade bei dynamischen Entwicklungen ist dieses “iterative” Handeln sehr wichtig. Komplexe Entwicklungen sind nicht vorausplanbar, sondern die Akteur*innen müssen sich immer wieder neu auf die Lage einstellen können und Stück für Stück weiterplanen.
Für die Kieler Selbstverwaltung bedeutet das zum einen, bereits gefasste, klimarelevante Beschlüsse nicht wieder zur Disposition zu stellen und somit den Prozess zu verlangsamen. Und zum Zweiten durchaus zu schauen, ob alte Beschlüsse nicht doch verändert oder verschärft werden müssen, weil sie nicht mehr in die aktuelle Lage passen. Ein Satz wie “Wir haben 15 Jahre daran geplant, jetzt muss die Anbindung an die A21 kommen” ist in der jetzigen Situation absolut nicht mehr zeitgemäß.
Ein*e Klimaschutzbeauftragte*r wäre vermutlich in der Anfangsphase in den 90er Jahren eine gute Idee gewesen, doch der große Hebel ist er*sie nicht. Aus meiner Sicht sollten wir die strukturellen Herausforderungen der Selbstverwaltung und Verwaltung richtig anfassen, um beim Klimaschutz noch besser und schneller zu werden.
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