Am 24. November 2019 veranstalteten die Vereine Filmkultur Schleswig-Holstein e.V. und IFgameSH e.V. einen Parlamentarischen Abend im Landeshaus in Kiel. Unter dem Motto “Film und Games aus Schleswig-Holstein” diskutierten die Vereine mit Landespolitiker*innen und Expert*innen aus Nordrhein-Westfalen und Hessen über die Potenziale der beiden Branchen. Was kann die Landespolitik tun, um Filmschaffende im Land angemessen zu fördern?
Warum braucht Schleswig-Holstein den Film?
Digitalisierung ist auch Multimedia
Wer Digitalisierung sagt, der muss auch Multimedia im Hinterkopf haben. Kein Medium wird so häufig am Tag rezipiert wie der Film bzw. das Video. Und das nicht nur bei Netflix und Co. Tutorials helfen Nutzer*innen, neue Software zu verstehen. Schüler*innen sehen sich Youtube-Videos an, um Mathe zu lernen. Unternehmen werben mit Employer Branding-Videos um neue Mitarbeitende. Längst ist der Film aus Kino und Fernsehen herausgewachsen. Besonders für Jugendliche gehört das Drehen von Videos zur Jugendkultur und ist ein wichtiges Ausdrucksmittel geworden, mit dem sie sich mit ihren Gedanken und Ideen in die Gesellschaft einbringen. Zudem hat auch der klassische Film die Stärke, Identität, Geschichte und Fragen unserer Zeit einer breiten Masse näher zu bringen. Denn im Gegensatz zu Museen, Literatur, bildender Kunst und Theater wird der Film von allen gesellschaftlichen Gruppen breit rezipiert.
Gemeinschaft und Identität durch kulturellen Film
Film ist ein Gemeinschaftserlebnis. Egal ob bei populären Blockbustern oder Formaten mit starkem Regionalbezug. Erst vor kurzem hatte der Film „Mythos am Meer“ (D 2019) auf Sylt Premiere. Der Dokumentarfilm zeigt mittels privaten Filmmaterial ein Sylt vor der Gentrifizierung, die die Insel heute prägt. Der Saal in Westerland war ausverkauft und es waren vor allem die Sylter*innen gekommen, die aufgrund der explodierten Grundstückspreise ihre Heimatinsel verlassen hatten und hier nach Jahrzehnten ihre alten Nachbar*innen wiedertrafen. Ähnlich erging es dem Film „Ich habe Kiel zu erzählen“ (D 2018), der in Kiel über 7.000 Zuschauende erreichte. Ebenso sind Filme wie Karl Siebigs „Kneipenterroristen“ (D, 1990) inzwischen Kult. Die Spiegel-Reportage ist nebenher bemerkt eines der wenigen Dokumente des aussterbenden Kieler Dialekts. Auch fiktive Formate, wie z.B. den Werner-Filmen und der Landarzt, nehmen eine identitätsstiftende Rolle in der Kulturlandschaft von Schleswig-Holstein ein.
Gut ausgestattete Filmförderung ist Wirtschaftsförderung
Neben den kulturellen Aspekten bietet der Film zudem wirtschaftliche Chancen für Schleswig-Holstein. Durch die immer stärkere Konzentration des Internets auf Film und Bildern sind die Unternehmen im Land darauf angewiesen, Videocontent anzubieten. Das geht über die einmalige Erstellung eines Imagevideos hinaus. Um Kund*innen oder auch Fachkräfte dauerhaft für das Unternehmen zu begeistern, sind inzwischen serielle Formate immer stärker gefragt. Dafür braucht es Dienstleister*innen vor Ort, die in unterschiedlichen Preiskategorien Videos produzieren können. Diese wiederum sind auf spezialisierte Zulieferer angewiesen. Es braucht Menschen, die Skripte schreiben, Kameraarbeit durchführen, Schauspieler*innen vermitteln, Visual Effects erstellen oder Ton für anspruchsvolle Sound-Anlagen bearbeiten. Je nachdem, welcher Grad an Professionalität gefordert ist.
Virtual Reality als Zukunftsmarkt
Seit wenigen Jahren nimmt zudem die Bedeutung von immersiven Medien immer mehr zu, vor allem in der Industrie. Mit Virtual Reality werden Anlagen und Produkte konstruiert oder Einsatzszenarien geprobt, ohne dafür die Maschine aus dem laufenden Betrieb nehmen zu müssen. Augmented Reality-Formate können bei kommunalen Beteiligungsprozessen helfen, den Menschen eine Vorstellung von geplanten Bauprojekten zu vermitteln. Wie wird das neue Gebäude an dieser Stelle aussehen? Kurz das Smartphone gezückt und schon erscheint das geplante Objekt auf dem Display des Telefons. Hier entwickelt sich mit dem Interdisziplinären Labor für Immersionsforschung (LINK) an der Fachhochschule Kiel eine interessante Kompetenz. Ein Zukunftsmarkt, den Schleswig-Holstein in jedem Fall im Blick behalten sollte.
Filmförderung ist ein Standortfaktor
Zuletzt lässt sich am Beispiel anderer Filmlandschaften wie Südtirol, Bayern oder Berlin feststellen, dass gut ausgestattet Filmförderungen einen wesentliche Standortfaktor darstellen. Durch die mediale Präsenz des Landes oder der Stadt wird nicht nur der Ort als Tourismusstandort gestärkt, sondern auch das Interesse von Fachkräften und Unternehmen gesteigert. Insbesondere dann, wenn das Filmland nicht nur als Kulisse genutzt wird, sondern die Identität und Authentizität des Landes durch eigene Produktionen medial ausgesendet werden. Südtirol hat diesen Faktor sogar explizit zum Teil ihrer Standortförderung gemacht.
Auch finanziell zahlt sich die Filmförderung aus, denn ab einem gewissen Professionalitätsgrad fließt am Ende des Tages mehr Geld zurück in die Staatskasse als vorher ausgegeben wurde. Denn Film ist ein großer Arbeitgeber und Auftragnehmer von Dienstleistungen vor Ort wie Catering, Hotelübernachtungen, Logistik und zahlt Gewerbesteuer. Schleswig-Holstein tut daher gut daran, die Filmförderung eben nicht nur als Kulturausgabe, sondern auch als Wirtschaftsförderung zu sehen.
Was kann der Film aus Schleswig-Holstein schon?
In Sachen Film hat sich in den letzten Jahren in Schleswig-Holstein wieder vieles getan, nachdem die Filmbranche durch die Fusion mit der Hamburger Filmförderung einen deutlichen Knick erfahren hatte. Trotz vieler Versprechungen haben sich die Befürchtungen bestätigt, dass Hamburg wie ein Magnet alle Dienstleister, Produktionen und andere Infrastrukturen zu sich ins Stadtgebiet zieht. Dem fielen nicht nur Serienproduktionen zum Opfer, sondern auch eine professionelle Dokumentarfilmszene, die zu großen Teilen inzwischen außerhalb von Schleswig-Holstein arbeitet.
Stark bei der Nachwuchsförderung
Dabei ist Schleswig-Holstein in Bezug auf die Nachwuchsförderung Vorbild in Deutschland. Der Verband Jugend und Film sowie die Internationale Bildungsstätte Scheersberg leisten seit über 45 Jahren hervorragenden Arbeit in der Filmbildung. Das hat zur Folge, dass überdurchschnittlich viele Filmschaffende aus Schleswig-Holstein renommierte Filmhochschulen wie die in Babelsberg, Ludwigsburg oder der Hamburg Media School besuchen.
Gewachsene Medienausbildung
Der Grund, warum sich die Filmcommunity in den letzten Jahren wieder erholt hat, liegt an einem neuen Selbstverständnis der jungen Filmschaffenden, die das Filmemachen nicht mehr nur als Freizeitbeschäftigung sehen, sondern als greifbares Berufsziel.
Zum Zweiten haben sich die Medienstudiengänge an der Fachhochschule Kiel, der Fachhochschule Flensburg, der Muthesius Kunsthochschule und der Christian-Albrechts Universität zu Kiel in den letzten Jahren stark weiter entwickelt. Neben den traditionellen Sparten Dokumentarfilm und Medienwissenschaften sind inzwischen neue Formate wie Webvideos, Storytelling sowie immersive und interaktive Medien mit in die Lehrpläne aufgenommen worden. Das führt auch dazu, dass das Bedürfnis nach Profilierung bei den Hochschulen gestiegen ist. Denn in der Wissenschaft spielt das Image der Hochschule noch immer eine große Rolle, um renommierte Dozent*innen anwerben zu können und sich damit weiterzuentwickeln.
Zuletzt hat auch die Zahl der Gründungen für Video- und Medienproduktionen in den letzten Jahren zugenommen. Dennoch ist die Zahl der Absolvent*innen, die nach den Studium in andere Bundesländern umziehen, noch immer exorbitant hoch, was vor allem auf fehlende berufliche Weiterentwicklungsmöglichkeiten (z.B. Weiterbildung, Praktika am Set) zurückzuführen ist.
Schleswig-Holstein besitzt mit der Filmwerkstatt Kiel (Filmförderung HSH) und dem Verein Filmkultur SH e.V. zudem Instrumente, die direkt vor Ort die Filmschaffenden unterstützen. Im Moment jedoch stark beschränkt auf den Low-Budget-Bereich.
Was braucht der Film aus Schleswig-Holstein?
Schleswig-Holstein hat eine Stufe erreicht, an der eine Professionalisierung der Szene wieder möglich ist. Doch leider zwingt die sogenannte “Gläserne Decke” noch immer viele, das Land zu verlassen, um sich woanders zu professionalisieren. Damit geht viel Potenzial für Schleswig-Holstein verloren und das bei gleichzeitigem Druck der norddeutschen Unternehmen, Videocontent für das Internet zu produzieren.
Schleswig-Holstein mit einem Fokus auf Webvideo, Drehbuch und Virtual Reality
Daher ist es wichtig, von der halbherzigen Low-Budget-Förderung wegzukommen und fokussiert die notwendige Infrastruktur für Filmproduktionen auszubauen. Denn ein Fehler, der gerne von Landesseite aus gemacht wird ist, zu glauben, dass Film nur aus Kino- und Fernsehproduktion bestünde. Das ist ein Fehlschluss. Der weitaus größere Markt sind inzwischen kleine Formate für Unternehmen; also Webvideos, Tutorials, Webserien, Social Media Formate und professionelle Kurz- und Werbefilme.
Ebenfalls unterschätzt wird das Thema Drehbuch bzw. Storytelling. Ein Film kann professionell gemacht sein, aber ohne eine gute Story ist er in unserer schnelllebigen Welt absolut wertlos. Die Ausbildung in Skripten, Drehbuch und Storytelling ist mit wenig Materialeinsatz zu haben und damit relativ einfach umzusetzen. Eine Förderung, zum Beispiel auch durch die Schaffung einer Stelle eines Scriptdoktors sowie Drehbuchförderung, wäre ein einfacher und sinnvoller Schritt.
Der dritte interessante Bereich in Schleswig-Holstein sind die immersiven Medien, also Virtual und Augmented Reality. Die Kultur- sowie Wirtschaftspolitik sollte in allen drei Bereichen einen Fokus setzen, indem sowohl Projekte, als auch Gründungen von Videoproduktionen und Zulieferbranchen (Sound, Castingagentur, Equipment, Studios etc.) gefördert werden. Auch Weiterbildungen für die teilweise hochspezialisierten Posten in der Filmproduktion sollten in Zusammenarbeit mit Hamburg angeboten werden.
Film- und Serienproduktion
In einem zweiten Schritt ist es zudem sinnvoll, auch die Kino- und Serienproduktion wieder gezielt ins Auge zu fassen und dafür zu sorgen, dass nationalen wie internationalen Produktionen in Schleswig-Holstein Fachkräfte für mindestens ein bis zwei Filmcrews zur Verfügung stehen. Diese Filmcrews aus einheimischen Fachkräften wirken wiederum auf die Professionalisierung der Filmbranche zurück, denn Film wird immer noch “On the Job” gelernt, also durch Praktikas und Hocharbeiten direkt bei Filmproduktionen. Mit einer solchen Politik würde die Fusion mit der Hamburger Filmförderungen auf einen sinnvollen Weg gebracht werden und bei beiden Bundesländer in die wirtschaftliche Wertschöpfung einzahlen.
Fachkräfte fördern und Infrastruktur ausbauen
Um die Filmcommunity zu fördern, gilt es sowohl Fachkräfte am Set und in der Postproduction auszubilden als auch eine entsprechende Infrastruktur auszubauen. Im Kleinen gehört dazu zunächst die Ansiedlung von Equipment-Verleihern und der Bau eines Filmstudios, das auch für Semi-Professionelle und Low-Budget-Produktionen offen steht.
Bei der Förderung von Fachkräften ist vor allem darauf zu achten, dass viel gefragte Jobs am Set wie Aufnahmeleitungen, Tonmeister*innen, Produktionsleitungen, Maskenbildner*innen usw. gezielt durch Fortbildungen und Stipendien gefördert werden. Die Filmwerkstatt Kiel hat hier einen ersten Schritt gemacht und bietet zusammen mit der IHK zu Kiel Informationsveranstaltungen zu den Berufsbildern beim Film an. Die Ausbildung zum Allround-Filmschaffenden ist der richtige Einstieg für den Nachwuchs, doch wie bei jeder anderen Branche auch, sind Filmberufe hochspezialisiert, um den hohen Qualitätsansprüchen gerecht werden zu können. Ein guter Kameramensch kann nicht zwangsläufig auch Sounddesign. Hier muss der Übergang vom Allrounder zum Spezialisten stärker gefördert werden. Zumal deutschlandweit ein erheblicher Fachkräftemangel in diesen Berufen besteht.
Gründungsförderung für Medienunternehmen
Hessen macht es vor. Dort werden in einem Modellversuch drei Medien-Unternehmen mit jeweils 50.000 EUR Talentpaketförderung über drei Jahre gefördert. Eine solche Förderung wäre auch in Schleswig-Holstein denkbar, um hier die notwendige Struktur an Video-Dienstleisterinnen aufzubauen.
Auch ein Budget für Abschlussfilme wäre wichtig. Im Moment dürfen die Hochschulen nur Equipment und Ausbildung ihrer Studierenden bezahlen. Für einen Film, der als Referenzmaterial für Absolvent*innen und Hochschulen dient, müssen jedoch alle anfallenden Kosten bezahlt werden, wie Raummiete, Versicherung, Honorar für professionelle Schauspielende usw. Diese Förderung wäre bereits für 150.000 bis 200.000 EUR im Jahr zu haben und würde den Hochschulen helfen, größere Sprünge in der Qualität der Lehre zu vollziehen. Denn Abschlussfilme, die auf Filmfestivals gespielt werden, zahlen gleichzeitig auf das Renommee der Hochschule und ihrer Ausbildung ein und macht die Anstellung interessanter Filmlehrender möglich.
Zuletzt sollte auch überlegt werden, ob nicht auch der NDR Kurzfilme aus Schleswig-Holstein in seinem Programm zeigen könnte sowie ein Sendeplatz für einen Langfilm aus Schleswig-Holsteiner vorgehalten werden sollte.
Film kostet Geld – Und zahlt sich aus
Um insgesamt die Festival- und Kinoauswertung der Filme aus Schleswig-Holstein zu verbessern, braucht es generell eine Erhöhung des Budgets der Filmwerkstatt Kiel, um angemessene Einzelfördersummen auszahlen zu können. Im Moment werden in der Regel Summen bewilligt, die nur die Hälfte oder ein Drittel von dem darstellen, was professionelle Filme brauchen. Dazu gehört auch eine Prüfung, wie die derzeitigen Förderrichtlinien (nur 50 Prozent des Gesamtbudgets sind förderfähig) verändert werden können.
Neben den besseren Chancen würde die Anpassung an reale Kosten auch auf die Professionalisierung der Filmschaffenden einzahlen. Für die Berufsbildung macht es einen großen Unterschied, ob mit Amateurausrüstung oder professionellen Equipment gearbeitet und damit geübt werden kann. Vor allem der Einsatz von Grip (Kräne, Dolly, automatische Systeme etc.) und Licht- sowie Tontechnik gehört zur Ausbildung der Filmsprache dazu. Niemand würde eine Beleuchterin einstellen, die Zeit ihres Lebens immer nur mit drei LED-Leuchten gearbeitet hat und den Rest der Möglichkeiten nicht kennt. Alles, was wir in anderen Berufen als selbstverständlich erachten, gilt auch für die Film- und Videoproduktion. Darum sollte eine Filmförderung genau diese Möglichkeiten eröffnen, um aus einer Förderung eine echte Chance zur beruflichen Weiterentwicklung zu machen.
Die Grundlagen für ein digitales Schleswig-Holstein sind auch im Bereich Multimedia gelegt. Jetzt heißt es, die bestehenden Struktur richtig zu fördern, um wirtschaftlich in allen Branchen zu profitieren.
1 thought on “Digitalisierung heißt auch Multimedia: Film aus Schleswig-Holstein”