Am 3. Februar 2023 tagte der NDR-Rundfunkrat. Auf der Tagesordnung waren u.a. die Programmleitlinien, die Herausforderungen der digitalen Transformation und die crossmedialen Sendungen des NDRs. In diesem Zuge wollte ich wissen, wann der NDR auch auf den dezentralen Netzwerken des Fediverse zu finden sein wird.
ÖRR: Interesse nur an den Big Playern?
Die Medien verändern sich schnell. Wo früher die meisten Menschen noch über Fernsehen, Radio und Zeitung zu erreichen waren, hat sich die Mediennutzung heute in verschiedene Kanäle aufgesplittet. Besonders jüngere Menschen sind mit linearem Fernsehen und Angeboten aus der Mediathek nur noch teilweise bis gar nicht mehr zu erreichen. Daher setzt der NDR auf Produktionen, die speziell an die Bedürfnisse von Instagram-, Youtube- und TikTok-User:innen angepasst sind.
Die Nutzung der großen Social-Media-Plattformen bleibt dabei ein Balance-Akt. Denn auf der einen Seite versucht man damit, besonders die jungen Zielgruppen für die Angebote in der Mediathek zu begeistern. Auf der anderen zeigte zuletzt der Kauf von Twitter durch Elon Musk, dass es bei den Tech-Giganten nicht nur ums Geschäft geht, sondern auch um politische Machtspielchen und die Durchsetzung bestimmter politischer Weltbilder. Unregulierte soziale Netze, wie sie Unternehmern wie Musk vorschweben, gehen zudem zu Lasten bestimmter Gruppen, die durch Hassrede, Doxing und Cybermobbing aus dem öffentlichen Diskurs herausgedrängt werden sollen. Auch eine Spaltung der Gesellschaft wird billigend in Kauf genommen, genauso wie die Verbreitung von Propaganda und Desinformationen. Erschwerend hinzu kommt, dass geltende Gesetze nicht ausreichend in diesen Netzwerken durchgesetzt werden.
Hier darf die Frage gestellt werden, ob der Öffentlich Rechtliche Rundfunk (ÖRR) diese Netzwerke mit seiner Anwesenheit fördern sollte?
Die Antwort ist für mich ja, denn der ÖRR nimmt hier einen wichtigen Teil des Diskurses ein und wirkt mit seinen hohen journalistischen Standards als Korrektiv. Zudem gilt in einer massenmedialen Gesellschaft, wer nicht gesehen wird, der existiert nicht. So kann der ÖRR schnell ein Legitimationsproblem bekommen, wenn die Menschen zwar zahlen, aber nirgendwo Inhalte in den Kanälen finden, in denen sich die Leute aufhalten.
Auf der anderen Seite kann der ÖRR aber auch seine hohe Glaubwürdigkeit nutzen, um andere Formen von sozialen Netzwerken zu fördern: Aus dem sogenannten Fediverse. Das Prinzip hinter Netzwerken wie Mastodon, PeerTube und anderen ist, dass die Daten nicht zentral bei einem großen, privatwirtschaftlichen Unternehmen liegen, das damit Geld verdient, sondern auf verschiedenen Server, die von Privatpersonen, Unternehmen oder Vereinen betrieben werden. Nutzer:innen können sich frei aussuchen, wo sie ihren Account eröffnen. Das hat leider auch Nachteile, da diese Netzwerke nicht die gleiche User Experience (Nutzererlebnisse) schaffen können, wie es die großen Player wie Facebook und Co können. Denn diese „bequeme Umgebung“ wird durch die Nutzung von Daten für Algorithmen geschaffen gepaart mit hohem Kapital, das in die Entwicklung der Netzwerke fließt.
Wenn man sich aber ansieht, warum Netzwerke wie Twitter so groß geworden sind, dann liegt es auch daran, dass dort alle großen Medien, Prominente und viele wichtige Politiker:innen vertreten sind, die mit ihren Inhalten das Produkt „Twitter“ zu dem machen, was es ist. Daher liegt es nahe, dass durch Gebühren finanzierte, gemeinwohlorientierte Medien wie der ÖRR dezentralen Netzwerken wie Mastodon helfen können, sich zu einem wichtigen Teil der vernetzten Medienwelt zu entwickeln und so das Prinzip der dezentralen und gemeinwohlorientierte Netzwerke populär zu machen. Ich würde sogar sagen, dass der Aufbau eines solchen gemeinwohlorientierten, dezentralen Netzwerkes Teil eines zukünftigen Staatsauftrags werden kann. Im besten Falle europaweit.
Zudem spricht vieles dafür, dass ein von großen Tech-Konzernen abhängiger ÖRR auch das Ziel der digitalen Souveränität konterkariert. Denn wer sich auf einem sozialen Netzwerk aufhält, der unterwirft sich dort auch den politischen Wertvorstellungen des Unternehmens. Hier ist die Debatte angestoßen, ob nicht sogar eine gemeinsame Mediathek mit dem ZDF und Arte mit zusätzlichen interaktiven Elementen ein Ausweg aus diesem Dilemma ist, die Mediathek also selbst zu einem Ort wird, in der sich die User:innen regelmäßig aufhalten und sich vernetzt untereinander austauschen.
Aber warum sind die Sendeanstalten der ARD noch so zögerlich, das Universum von Mastodon und Co zu entdecken?
Aus den Antworten der Hausspitze des NDRs geht hervor, dass der enorme Spardruck, unter dem der ÖRR steht, sich auf die Entscheidung auswirkt, welche sozialen Netzwerke genutzt werden und welche nicht. Jedes neue Netzwerk, das genutzt wird, bedürfe entsprechend angepasster Formate sowie Mitarbeitende, die Kommentare moderieren. Und hier ist das Kosten-Nutzen-Verhältnis bei den großen Player aus den USA und China sehr viel höher, als beim (noch kleinen) Mastodon. Eine aktive Rolle für die Förderung des Fediverse will zumindest der NDR zu diesem Zeitpunkt nicht einnehmen. Vielmehr betrachtet man die sozialen Medien eher als Teich, aus dem man Zuschauende für die Mediathek herausfischen kann. So bleibt es bei einigen wenigen Testballons auf Mastodon. Den Aufwand, z.B. für eine eigene Instanz, scheut man ganz.
Das ist schade, denn das ZDF hat – vor allem mit dem „Magazin Royal“ – die Fühler ausgestreckt und damit ein starkes Zeichen gesetzt. Ich halte das für eine vertane Chance der ARD. Eine gemeinwohlorientierte, nachhaltige und sozial gerechte Digitalisierung in Europa lässt sich nur erreichen, wenn Software und Internetdienste anders gedacht werden. Dezentral und Open Source, für alle nutzbar und offen für die technische Weiterentwicklung.
Im Zuge meiner Frage zu Mastodon wollte ich zudem wissen, wie der NDR mit TikTok umgeht, das inzwischen auch auf EU-Ebene stark umstritten ist. Man wolle hier die aktuelle Lage beobachten, hieß es.
Weiteres aus dem Rundfunkrat
Landesrundfunkrat SH: Kein politischer Filter beim NDR in Kiel
Bereits am 23. Januar 2022 behandelte der Landesrundfunkrat Schleswig-Holstein die Ergebnisse einer externen Untersuchung. Diese sollte die Vorwürfe eines politischen Filters beim „Schleswig-Holstein Magazin“ analysieren, die von verschiedenen privaten Medien aufgeworfen worden war. Die Expert:innen konnten keinen politischen Filter feststellen, jedoch wird Handlungsbedarf bei der Unternehmenskultur und den Compliance-Regeln gesehen. Der Landesrundfunkrat spricht daher dringende Empfehlungen aus, die hier nachzulesen sind: https://www.ndr.de/der_ndr/unternehmen/rundfunkrat/Vorwuerfe-NDR-Kiel-Empfehlungen-des-Landesrundfunkrats,landesrundfunkratsh104.html
Wie oft wurde seit 2007 der Klimawandel in der Tagesschau behandelt?
Mit einer interessanten Inhaltsanalyse beschäftigten sich Medienwissenschaftler:innen der Universität Hamburg und wollten wissen, wie oft der Klimawandel bzw. die Klimakrise Thema beim Öffentlich Rechtlichen Rundfunk war. Die Analyse ist hier zu finden: https://www.ard-media.de/media-perspektiven/fachzeitschrift/2020/detailseite-2020/der-klimawandel-im-oeffentlich-rechtlichen-fernsehen/
Zudem gibt es ein Interview mit dem Wissenschaftler auf Youtube: https://www.youtube.com/watch?v=lxnwbMP-Kf4
Im Rundfunkrat wollte ich wissen, warum diese Inhaltsanalyse nicht journalistisch bearbeitet wurde. Und welche Konsequenzen der NDR aus der Analyse ziehen wolle. Die Antwort war eher unbefriedigend. Man sehe sich diese Analyse im Moment noch an. Der Programmchef des NDR verwies auf die Gründung eines Kompetenzteam Klimaschutz, das aus zwei Chefredaktionen des MDR und des HR bestehe.
Wie wird die ARD Mediathek entwickelt?
Zudem wollte ich wissen, wie der Entwicklungsprozess der ARD-Mediathek funktioniert. Eine detaillierte Antwort wird nachgeliefert, da das Thema aus zeitlichen Gründen nur kurz umrissen werden konnte. Wenn es soweit ist, werde ich hier die Informationen zur Verfügung stellen.
Hannes Jaenicke bei DAS!
Zuletzt wurden im Programmausschuss des Rundfunkrates diverse Beschwerden von Landwirt:innen behandelt, die sich von einem Auftritt des Naturschützers Hannes Jaenicke verunglimpft sahen. Dieser hatte in der DAS!-Sendung vom 22.11.2022 die Fehlentwicklungen in der deutschen Fleischproduktion angemahnt. Der Programmausschuss sah darin keinen Verstoß gegen den Staatsvertrag des NDR. Im Gegenteil handele es sich um einen wichtigen Meinungsbetrag, der eine Debatte über die Lebensmittelproduktion anstoßen sollte. Auch in Hinblick auf die Klimakrise und den Ausstoß von Emissionen, was zu einem Überdenken von Nahrungsgewohnheiten führen muss.
Die nächste Sitzung des Rundfunkrates findet am 24. März 2023 statt und wird hier live gestreamt.
Foto von Mike Philipp auf Unsplash