Der Corona-Virus hat die Welt fest im Griff. Wie ist in Zeiten einer solchen Krise die Rolle der Kommunalpolitik? Was können ehrenamtlich Engagierte leisten, wenn die Weisungen von Bund und Land klare Vorgaben machen und die Kommunalverwaltung mit der Umsetzung beschäftigt ist? Die Antwort: Vor allem kommunalpolitische Steuerung – auch für die Zeit danach.
Kommunalpolitik in der Schockstarre?
In der Corona-Krise droht die Selbstverwaltung auf ein reines Abnick-Organ reduziert zu werden. So empfiehlt Schleswig-Holsteins Innenminister Hans-Joachim Grote vor allem eines: Die Gemeinde- und Stadträte sollen nur noch dringend notwendige Beschlüsse fassen. Das ist auf dem ersten Blick richtig, denn die Kontaktreduktion sollte auch in der Kommunalpolitik, so gut es geht, vollzogen werden. Zudem gehören vor allem im ländlichen Raum viele Kommunalpolitiker*innen zur Risikogruppe, da dort die Altersstruktur erfahrungsgemäß noch höher ist.
Doch im Hinblick auf das Andauern der Krise und den derzeitigen Einschränkungen mit ihren massiven ökonomischen und sozialen Folgen müssen sich Kommunalpolitiker*innen jetzt fragen, wie sie wieder Teil von Entscheidungsprozessen werden. Das betrifft vor allem den Informationsfluss zwischen Land, Verwaltung und Selbstverwaltung. Denn nach dem ersten “Stilllegen” der Gesellschaft werden schnell viele Probleme auftauchen, die auf politischer Ebene diskutiert und gelöst werden müssen.
Die Kommunalpolitik ist von der Corona-Krise überrollt worden, jetzt gilt es sich zu sortieren und neue Wege der Kommunikation zu finden.
Am Ende zählen die Details
Das Gefühl, dass der Bund und das Land sowie die kommunalen Verwaltungen jetzt alles in die Hand nehmen, ist trügerisch. Zum einen kann die Verwaltung nur bis zu einem gewissen Grade Entscheidung als Verwaltungshandeln deklarieren, wozu zum Beispiel die Umsetzung der Schutzmaßnahmen sowie das allgemeine Krisenmanagement gehören. Zum anderen haben auch der Bund und das Land nur die große Stellschraube in der Hand, um zum Beispiel generelle Verbote zu beschließen oder finanzielle Hilfspakete zu schnüren.
Die Kommunalpolitik sitzt dazwischen und muss sich um die politische Ausrichtung und Steuerung – auch nach der Krise –kümmern. Und genau diese wird in den nächsten Monaten umfangreich sein. Es gilt noch während der Krise, sowohl ökonomische als auch soziale Unwuchten in der Kommune zu verhindern und sich auf das zu erwartende Haushaltsdefizit vorzubereiten. Auch ein bundesweites Konjunkturprogramm nach der Krise muss inhaltlich von der Kommunalpolitik gesteuert werden, da jede Kommune eine eigene Wirtschaftsstruktur hat. Eine Stadt mit einer hohen StartUp-Quote wird sich anders aufstellen müssen als ein Industriestandort oder eine ländliche Kommune.
Schon hier zeigt sich, dass die kommunale Selbstverwaltung mehr ist als nur eine Gruppe von Menschen, die Anträge abstimmt: Sie bestimmt das Ziel und die Leitplanken, innerhalb derer das Ziel erreicht werden soll. In den nächsten Monaten wird viel diskutiert und geplant, und vor allem muss viel angepackt werden, um die Krise zu überstehen und die Kommunen wirtschaftlich wie sozial im Gleichgewicht zu halten. Dabei sind vor allem während der Krise Improvisation und kreative Lösungen gefragt.
In drei Schritten die politische Arbeit wiederherstellen
Wenn Ausschüsse und Ratssitzungen abgesagt werden, auch im Mai, heißt das nicht, dass keine Kommunalpolitik stattfindet.
Die Gemeindeordnung von Schleswig-Holstein gibt es im Moment nicht her, virtuell zu tagen und zu entscheiden. Auch eine Reduzierung der für die Beschlussfähigkeit notwendigen Personen (derzeit die einfache Mehrheit der Mitglieder) auf ein Viertel kann nur durch eine Änderung der Gemeindeordnung erwirkt werden. Die Signale vom Land sind hier noch wage.
Schritt 1: Digitale Fraktionsarbeit
Daher ist es im ersten Schritt wichtig, dass die Fraktionen jetzt die Zeit nutzen, um sich zunächst selbst an die neuen Rahmenbedingungen anzupassen, um krisenfest agieren zu können.
Die Verunsicherung in den Fraktionen war z.B. in der Kieler Ratsversammlung deutlich zu spüren. Am 19. März musste die Ratsversammlung zusammen kommen, um den Oberbürgermeister zu vereidigen und seine Stellvertretungen zu wählen. Dafür reichten Eilentscheidungen des OB nicht aus. Trotz der Sicherheitsmaßnahmen führte der Umstand, sich in den Ratssaal begeben zu müssen, in vielen Fraktionen der Kieler Ratsversammlung zu Verunsicherungen unter den Ratsleuten, bis hin zur Verweigerung. Diese vor allem emotionalen Wogen mussten durch viele Gespräche wieder geglättet werden. Daher sollte die gegenseitige Fürsorge zu einer wichtigen Aufgabe gehören, an der die Fraktionen jetzt arbeiten müssen.
Auch die Fraktionsarbeit muss digitalisiert werden. Die grüne Ratsfraktion hat bereits am ersten Tag der Krise ihre Fraktionssitzungen auf Videokonferenzen umgestellt und die Kommunikation untereinander deutlich erhöht. Da wir bereits vorher schon über eine Cloud gearbeitet haben und im Januar eine Kanban-Schulung (Grundlage für selbstorganisiertes Arbeiten im Team) absolviert hatten, waren hier die Grundlagen für eine digitale Zusammenarbeit gelegt, die nun weiter ausgebaut werden.
Schritt 2: Kommunikation mit der Verwaltung
In einem zweiten Schritt muss nun der Informationsfluss zwischen Selbstverwaltung und Verwaltung hergestellt werden. Tägliche Informationsmails von der Verwaltung sind zu Beginn hilfreich, können aber auf Dauer nicht bei der politischen Arbeit helfen.
Die Prämisse muss es sein, den Informationsfluss effizient zu gestalten und die Wege zu den Fachpersonen möglichst kurz zu halten. Gerade die Dezernent*innen haben in der Krise viel zu tun und haben daher wenig Zeit, jeder Fraktion einzelne Fragen zu beantworten (in Kiel sind es acht Fraktionen und ein Fraktionsloser). Zudem sind die Informationen teilweise so fachspezifisch, dass ein Umweg z.B. über die Fraktionsvorsitzenden nicht zielführend ist. Daher ist meines Erachtens der beste Weg, die Informationen direkt über die bereits legitimierten Gremien, also auf Ausschussebene, fließen zu lassen. Informelle Videokonferenzen zwischen den Ausschussmitgliedern erleichtern den Dialog, weil Fragen an das zuständige Dezernat gestellt werden und Einzelfragen direkt diskutiert werden können.
Das wichtigste in der Krise ist, permanent im Gespräch zu bleiben, um so auf schnelle Veränderungen reagieren zu können.
Schritt 3: Öffentlichkeit und Beschlussfähigkeit
Im dritten Schritt muss auch die Beschlussfähigkeit der Selbstverwaltung wiederhergestellt werden. Die Möglichkeit, Beschlüsse durch Eilentscheidungen der (Ober)Bürgermeister*innen zu fassen, kann im Moment helfen, sie hat jedoch auch rechtliche Grenzen. So muss die Entscheidung sowohl eilig sein als auch festgestellt werden, dass die Einberufung des kommunalen Parlaments nicht möglich ist. Wenn die Einschränkungen durch die Corona-Krise über eine längere Zeit aufrecht erhalten werden müssen, stößt dieses System an seine Grenzen. Daher macht es Sinn, die Gemeindeordnung für diese Art von Krisen so anzupassen, dass auch virtuelle Versammlung möglich werden. Zumal gerade im ländlichen Raum viele Mitglieder der Gremien über 65 Jahre sind. Bis zur Entwicklung eines Impfstoffes werden diese Risikogruppen permanent der Gefahr einer schweren Erkrankung ausgesetzt sein.
Um eine technische Umrüstung sowie die Änderung der Gemeindeordnung kommt das Land also nicht herum. Zusätzlich muss die Öffentlichkeit der Sitzungen gewährleistet werden. Die Gespräche innerhalb der Selbstverwaltung finden statt und das müssen sie auch. Jedoch ohne legitimierte Gremiensitzungen bleiben diese Gespräche hinter verschlossenen Türen und die Ergebnisse werden sofort in Verwaltungshandeln oder Eilentscheidungen überführt. Das kann nicht im Sinne der Demokratie sein. Daher muss hier die Öffentlichkeit wiederhergestellt werden und das kann sie nur, wenn auch die Sicherheit der Risikogruppen in der Selbstverwaltung gewährleistet werden kann.
Sitzungen am Rande der Beschlussfähigkeit mit halber Besetzung und Pairing-Abkommen können auch hier nur eine Zwischenlösung sein.
Aus diesem Grund sollten alle kommunalen Selbstverwaltungen das Land auffordern, für die Zeit der Krise die Gemeindeordnung entsprechend zu ändern und technische Lösungen für die Umsetzung entwickeln zu lassen. Allgemein sollte darauf gedrungen werden, für den Fall von Epidemien und anderen Katastrophen endlich Krisenpläne zu erstellen, um die Kommunalpolitik auch in diesen Situationen handlungsfähig zu halten.
Jede Entscheidung hat Folgen
Die Krise wird auch die Kommunalpolitik selbst verändern. Die Zeit der parteiideologischen Grabenkämpfe ist in einer solchen Situation nicht gefragt. Es braucht nun sowohl eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Selbstverwaltung und Verwaltung als auch zwischen den Fraktionen untereinander. Ich bin in dieser Hinsicht optimistisch. Die Gratwanderung zwischen der richtigen und der katastrophalen Entscheidung ist im Moment so schmal, dass nicht umsonst auf Bundes- und Landesebene die Parteien über Koalitionsgrenzen hinweg eng zusammenarbeiten und die Empfehlungen von Wissenschaftler*innen mit in die Entscheidungen einbeziehen. Wie Armin Laschet im Welt am Sonntag Interview sagt: “Jede Entscheidung hat Folgen” und das führt zu einer gewissen Demut vor der großen Aufgabe, der wir uns hier gemeinsam stellen müssen. Es geht eben nicht mehr um den Gewinn und Verlust von Wählerstimmen. Sondern es geht quasi um alles.
Dieses Vertrauen muss dabei nicht nur von oben nach unten funktionieren, sondern auch von unten nach oben. Die Kommunen sind es, die direkt bei den Bürger*innen sind und sagen können, was akzeptiert wird, wo Lücken in den Rettungsschirmen sind und was den Rahmen der Verhältnismäßigkeit verlässt. Auch das wird eine wichtige Aufgabe der Kommunalpolitik sein, diese Herausforderungen und Signale in ihren Parteien nach oben zu funken.
Wir sitzen alle in einem Boot.
Corona: Eine Gefahr für die Demokratie?
Während und nach einer Krise ist die Demokratie besonders empfänglich für Gefahren von innen und außen. Daher ist es wichtig, dass die Kommunalpolitik auch mit Corona funktioniert. Wie groß die Gefahr ist, können wir aktuell in Ungarn und Polen sehen, wo die Regierenden die Coronakrise dazu nutzen, um ihre Macht weiter auszubauen. Dieser Prozess muss nicht so eindeutig sein wie in diesen Ländern. Im Gegenteil. Die größte Gefahr geht von den schleichenden Prozessen aus. Die beispiellose Einschränkung der Grundrechte wird auch nach der Krise Begehrlichkeiten wecken, denen unbedingt Einhalt geboten werden muss. Immer wieder ist festzustellen, wie schnell Menschen Grundrechte für obsolet halten, sobald Angst im Spiel ist. Das darf in einem funktionierenden, demokratischen Staat nicht passieren. Die Demokratie muss jetzt unter Beweis stellen, dass sie in der Krise besser funktioniert als Militärdiktaturen und Autokratien. Dieses Bild tragen auch Kommunalpolitiker*innen mit.
Auf kommunaler Ebene heißt das auch, dass sich die Verwaltung und ihre Bürgermeister*innen nicht in den Krisenmodus einrichten dürfen. Ein Gespräch, das verloren gegangen ist, weil die Selbstverwaltung während der Krise abgetaucht ist, wird auch nach der Krise sehr lange brauchen, um wieder aufgenommen zu werden. An einigen Stellen besteht sogar die Gefahr, dass dieser Dialog gar nicht mehr stattfindet und das allgemeine Verwaltungshandeln durch bloßes Abstimmen der Vorlagen akzeptiert und nicht mehr hinterfragt wird. Auch Fortschritte in der Beteiligung der Öffentlichkeit könnten durch die Krise zurückgedreht werden. Das darf nicht passieren.
Mehr denn je gilt es jetzt, dass sowohl die Selbstverwaltung vertrauensvoll zusammenarbeitet als auch die enge Arbeit zwischen Verwaltung und Selbstverwaltung während der Krise weiter aufrechterhalten wird.
Und noch eine Anmerkung zum Schluss: Wir brauchen für die schwierigen Jahre, die folgen werden, guten Politiknachwuchs, der vor allem in den kommunalen Selbstverwaltungen sitzt. Menschen die während der Krise dicht an den Problemen der Menschen dran waren. Wir jungen Politiker*innen haben eine besondere Verantwortung, die Welt von Morgen zu gestalten.
Bild: pikisuperstar freeipik