Innovative Prozesse und Zukunft beginnen immer da, wo sich Menschen die richtigen Fragen stellen. Diese können im ersten Moment befremdlich oder abgefahren wirken. Ich möchte die Frage dennoch stellen: Kann Künstliche Intelligenz den Kommunen weiter helfen?
Datenbasiertes Handeln als Resultat der Vernetzung
Viele Unternehmen tun es bereits, die Wissenschaft sowieso. Und Künstliche Intelligenz bzw. das Machine Learning wird es weiterentwickeln. Das Stichwort heißt: Datenbasiertes Handeln.
Eigentlich ein alter Hut, denn Daten werden schon seit Jahrzehnten erhoben. Doch der Unterschied ist, dass durch die Digitalisierung und den technologischen Fortschritt, wie z.B. durch Smart City-Lösungen, Daten immer schneller und leichter erhoben werden können. Diese bestehen zum Beispiel aus Messdaten, Verkehrsdaten, Umweltdaten, Kartografien und vielem mehr. Wo früher noch Menschen an der Straße standen und die vorbeifahrenden Autos zählten, können heute Apps wie Google Maps und Waze genau voraussagen, wie lang ein Stau ist, und wann wir am Ziel ankommen. Daten können dabei auf verschiedene Arten erhoben werden. Durch Sensoren, Bilderkennung oder eben wie im letzten Fall dadurch, dass Nutzer*innen den Kartendiensten die entsprechenden Bewegungsdaten freiwillig geben.
Andere Daten beziehen sich auf die Bevölkerungsentwicklung (Zuzüge, demografische Entwicklung, Geburten), den Miet- bzw. Grundstückspreisen bis hin zu Wetterdaten. Doch all das bleibt ein Berg von Datenerhebungen, wenn sie nicht in Beziehung gesetzt und analysiert werden.
Datenverknüpfung und Künstliche Intelligenz
Denn der Schlüssel, um die Potenziale für die sogenannten Big Data zu nutzen ist die Datenverknüpfung. Erst so kann sich ein Bild zusammensetzen, mit dem nicht nur die Entwicklung der Vergangenheit visualisiert werden kann, sondern auch Prognosen für die Zukunft erstellt werden können.
Die Datenanalyse wird also ein immer wichtigerer Bestandteil von Entscheidungen, die über die Zukunft von Unternehmen, aber auch Kommunen entscheiden können. Werden mehr Menschen in die Stadt ziehen? Müssen dadurch mehr Wohnungen gebaut werden? Hat der Umbau der Innenstadt einen positiven Effekt auf den Einzelhandel? Macht es Sinn, die Straße dort zu bauen, oder wird sich das Wohngebiet daneben anders entwickeln? Das und viel mehr könnte erhoben und aufbereitet werden.
Jedoch. Umso mehr Daten im Spiel sind, umso weniger können wir Menschen diese ohne technische Hilfsmittel allein analysieren. Eine Unterstützung von Software und immer stärker von selbstlernenden Systemen (Künstliche Intelligenz) wird also in Zukunft unabdingbar sein. Verstärkt zunächst in der Wirtschaft und Wissenschaft, aber auch in der Politik kann es ein Mittel sein, um zukunftstragende Entscheidungen treffen zu können.
Wirkungsorientierter Haushalt als Vorstufe des datenbasierten Handelns
Die Vorstufe des datenbasierten Handelns ist schon in den 1980er Jahren mit der Entwicklung der wirkungsorientierten Haushaltsplanung entwickelt worden. Durch die zunehmend komplexer werdende Welt, ist eine politische Entscheidung, die von reinem Input ohne Kontrolle der Wirksamkeit der Beschlüsse geprägt ist, nicht zielführend. Sie bezieht zu wenig das notwendige Knowhow mit ein, das zum Beispiel in den Verwaltungen oder Kommune existiert, aber auch durch Beobachtung über die Wirksamkeit von Maßnahmen (Evaluation) erschlossen werden kann. Stattdessen wird Politik – auch heute noch – aus dem Bauchgefühl heraus gemacht, getragen durch Wahlprogramme, die den Mandatsträgern von vornherein einen bestimmtes Vorgehen oder eine bestimmte Parteiideologie vorgeben.
#Prozess
Schon den klügsten Weg vorzugeben, ohne zu wissen, ob es der klügste Weg ist, ist wenig zielführend. Dieses Phänomen kennen wir aus den Anfängen der Software-Entwicklung. Ohne die Gewohnheiten der Menschen zu kennen wurde ein komplettes System gebaut, deren Bedienlogik den Benutzer*innen dann „Von Oben” aufgedrückt wurde. Davon ist die Softwareentwicklung abgekommen und hat begonnen, den Prozess in Schleifen (adapt and inspect) zu gestalten. Wer nicht absehen kann, wohin sich etwas entwickelt, weil es zu komplex ist (Siehe Artikel: Verwaltungsreform), der kann sich nur auf den Weg begeben und immer wieder prüfen, ob der ursprüngliche Plan noch zur Entwicklung passt.
#Team statt Genie
Die Bestimmung des klügsten Weges sollte nicht von einem “genieartigen” Ausgangspunkt eines Einzelnen bestimmt , sondern durch die Debatte von Expert*innen und Betroffenen gestaltet werden. Die Politik hat dann die Aufgabe, die Ergebnisse in den demokratischen Prozess zu bringen.
Genie ist hier im Sinne der Einzelleistung gemeint, die als Gegenentwurf zur Teamleistung zu verstehen ist. Die deutsche Kultur ist geprägt von der Vorstellung des Genies (Goethe), also der Annahme, dass der Einzelne Lösungen auf komplexe Fragen im Alleingang finden könnte.
#Wissensmanagement
Zum dritten sollte Wissen, das bereits an anderer Stelle erworben wurde, so gut wie möglich auch woanders genutzt werden können. Wo wir wieder bei den Daten sind. Wenn 90 Prozent der Städte, die eine autofreie Innenstadt haben, keine negativen Effekte auf den Einzelhandel feststellen konnten und auch klar die Gründe dafür dokumentiert sind, so muss diese Debatte nicht in jeder Kommune nochmal geführt werden.
Aber zurück zum wirkungsorientierten Haushalt. Die Politik gibt bei diesem Modell – in der Reinform – nur noch die politischen Ziele vor, der beste Weg wird dann durch die eingeleitete Maßnahmen sowie die Kontrolle über die Wirksamkeit dieser Maßnahmen gefunden. Umso besser die Datenlage – durch die Evaluation und andere Datenerhebungen – , umso schneller kann das eigene Handeln an den evolutionären Prozess angepasst werden. Digitale Lösungen, Smart City und Künstliche Intelligenz können diesen Prozess aus Entscheidung und Kontrolle nachhaltig unterstützen und in einigen Fällen sogar adHoc-Reaktionen möglich machen.
Zukunftsmusik? Kulturwandel einleiten
Das klingt alles nach Zukunftsmusik. Ist es auch noch. Viel wichtiger ist jedoch, dass auch in der Kommunalpolitik und der Verwaltung dieser Kulturwandel zu einer strategischen Ausrichtung des politischen Handelns heute (!) vollzogen und gelebt wird. Wir halten uns zu sehr mit Kleinigkeiten auf, wie zum Beispiel Fragen, ob irgendwo Fahrradständer oder doch lieber ein Baum stehen soll, ohne dabei das gesamte Gebiet zu betrachten. Wir diskutieren über Einzelförderungen für Vereine, ohne die gesamte Struktur aller Kultur- und Sozialvereine zu betrachten und ob die Zusammensetzung ausgewogen ist. Das führt oft dazu, dass eher Interessen durchgesetzt werden und nicht das Ziel im Auge behalten wird, z.B. soziale Gerechtigkeit.
Zum datenbasierten Handeln gehört der wirkungsorientierte Haushalt.
Dazu gehört die Einführung eines wirkungsorientierten Haushalts genauso, wie der Umgang mit kommunalen Strategieprozessen, die eben nicht nur die Festlegung von Zielen innehaben dürfen, sondern auch eine Umsetzung erfahren müssen. Dazu braucht es auch einen geschulten Umgang mit der Erhebung und der Auswertung von Daten. Sowohl bei der Stadtverwaltung, als auch in der ehrenamtlichen sowie hauptamtlichen Kommunalpolitik. Die Kommunalpolitik muss diese Daten interpretieren und daraus Handeln und Entscheidungen ableiten können. Das ist eine Abkehr von der fast überall vorherrschenden Pi-Mal-Daum-Politik, die im schlimmsten Falle auch noch alle vier oder fünf Jahre die Richtung wechselt.
Die Grenzen der Daten: Menschlicher Verstand ist der Schlüssel
Natürlich werden jetzt viele sagen. Oh Gott oh Gott. Ich möchte nicht, dass alle Entscheidungen nur noch darauf basieren, was ein Computer ausgespuckt hat. Diese Sorge ist absolut berechtigt, denn die Dateninterpretation bleibt Sache des menschlichen Verstandes. Daten können immer nur Anhaltspunkte auf Entwicklungen in die Zukunft oder die Wirksamkeit bzw. Unwirksamkeit von Entscheidungen sein. Auch eine Künstliche Intelligenz wird das nicht ändern, denn sie kann nur das bestehende Wissen sortieren und zusammenfassen. Sie bleibt als System inhärent, schließt also von sich auf sich. Der Mensch dagegen hat die Fähigkeit, auch darüber hinaus zu denken.
Nur der Mensch kann über die Datenbasis hinaus denken.
Was Daten jedoch können ist, dass sie unsere Annahmen korrigieren können. Wenn die Kinderarmut steigt, aber die Arbeitslosigkeit in der Kommune gesunken ist, dann reißt uns das aus unserem Denkschema, dass Arbeitslosigkeit und Kinderarmut einen direkten Zusammenhang haben. Das veranlasst uns, nach anderen Ursachen zu suchen. Sind es die Mietsteigerungen? Stagnieren die Reallöhne? Sind bestimmte Gebühren zu hoch, die Familien zu sehr belasten? Belastet die Arbeitswelt die Eltern so sehr, dass Ehen zerbrechen?
Daten regen uns an, Fragen zu stellen und helfen uns, Ursachen zu prüfen, um der Wahrheit näher zu kommen. Sie sind kein Allheilmittel, aber sie sorgen für mehr Transparenz, mehr Mitbestimmung und vor allem für mehr und differenziertere Diskussionen. Jede Schwarz-Weiß-Debatte nutzt die Unwissenheit der Beteiligten aus. Darum ist es wichtig, durch Transparenz und eine gute Darstellung das Wissen möglichst vielen Menschen zur Verfügung zu stellen.
Wird es eine allwissende KI in den Rathäusern geben?
Wer weiß 😉
Nein natürlich nicht. Allwissend ist niemand. Doch gebündeltes Wissen, das durch Vernetzung einer breiten Masse zur Verfügung gestellt werden kann, eröffnet neue Möglichkeiten, Erkenntnisse zu haben und Lösungen zu finden. Wissen sollte in einer vernetzten Welt kein Privileg von wenigen sein. Jeder Mensch sollte die Möglichkeit haben, sich mit seinen Fähigkeiten und Knowhow in die Fortentwicklung unserer Welt mit einbringen zu können. Und darüber hinaus auch die Kompetenz dafür zu entwickeln.
Die Maschine und die Daten können dabei immer nur Werkzeuge sein. Werkzeuge, mit denen wir lernen müssen umzugehen, denn sie werden immer stärker Teil unseres Alltags und Handelns. Dem müssen wir uns bewusst werden und die sich entwickelnde Mensch-KI-Beziehung reflektieren. Der gesellschaftliche Diskurs darüber hat noch gar nicht richtig begonnen. Es wird Zeit.