Primark ist wie KiK ein Symbol einer aus der Zeit gefallenen Geschäftspolitik. Damit wird keine soziale Teilhabe von finanziell schlechter gestellten Menschen ermöglicht, sondern bestehende soziale Ungleichheit gefestigt. Warum Kiel gut daran tut, auf eine nachhaltige Wirtschaftspolitik zu setzen und damit Arbeitsplätze zu sichern.
Das Ende des Turbokapitalismus
Primark eröffnet seine Filiale in Kiel und stellt in mehrfacher Hinsicht ein Problem für eine Stadt dar, die sowohl Klimaschutzstadt als auch Zero-Waste-Stadt ist. Das fängt bereits beim Gebäude an. Statt das bestehende Gebäude zu nutzen, wollte die Kette lieber ein eigenes Gebäude bauen. Klimaschonend sieht anders aus, denn im neuen Gebäude stecken nun Unmengen von sogenannter “grauer Energie”, also Emissionen von CO2, die durch Abriss und Neubau erzeugt wurden.
Primark und KiK stehen für Unternehmen, die eine unverhältnismäßige Belastung für das Klima darstellen.
Primark und auch KiK stehen wie keine anderen Unternehmen symbolisch für eine Geschäftspolitik, die ihren Profit durch eine möglichst kurze Lebensdauer ihrer Produkte bei gleichzeitig billiger Herstellung erzielen. Zusammen mit dem Transport stellt das eine unverhältnismäßige Belastung für Klima und Umwelt dar und hat dazu noch gravierende soziale Auswirkungen, vor allem für die Näher*innen und Färber*innen aus Fernost und Afrika.
Diese Unternehmen sind die Konsequenz einer Wirtschaftspolitik, die auf das Mantra des unendlichen Wachstums setzt. Um diesen “Motor” am Laufen zu halten, muss auch der Konsum immer weiter angekurbelt werden. Das funktioniert in der Textilbranche vor allem durch Mode, mit der Käufer*innen unter Konsumdruck gesetzt werden. Primark denkt dieses Prinzip noch ein Stück weiter, indem es im Sinne des “Fast Fashion” auch an der Qualitätsschraube dreht, um die Stücke möglichst schnell nach dem Kauf in die Mülltonne zu bekommen.
Darum ist auch die Protestaktion der Grünen Jugend richtig, die einen Kleidertausch vor Primark veranstaltet hat, um zu zeigen, dass man durch Tausch unter Freund*innen jeden Tag etwas anders tragen kann und Kleider “Lieblingsstücke” mit langer Lebensdauer sein sollten.
Soziale Teilhabe durch Primark?
Eines der Argumente für “Fast Fashion” ist, dass durch Primark und KiK soziale Teilhabe ermöglicht werden würde.
Soziale Teilhabe durch Billigmode ermöglichen? Im Argument selbst steckt der Kern des Problems:
- Ein Modezwang wird erst etabliert, der dann zur Ausgrenzung führt
- Billige Produkte sind am Ende die teuren Produkte, weil immer wieder nachgekauft werden muss
- Billigketten bedienen sich Modetechnisch an den Auslaufmodellen der Modebranche. Was oben nicht mehr getragen wird, dürfen sozial Schwächere “auftragen”
Dieses Argument ist also in jeder Beziehung ein Scheinargument. Dazu kommt, dass auch die Arbeit der Näher*innen keine Würdigung erfährt. Die angebliche Möglichkeit sozialer Teilhabe von sozial schwächeren Menschen im eigenen Land wird auf dem Rücken sozial Schwächerer in anderen Ländern ausgetragen. Soziale Teilhabe durch Fast Fashion ist damit nicht nur ein Ignorieren von wahren sozialen Problemen, sondern auch latenter Rassismus.
Natürlich zählt an dieser Stelle auch das Argument, dass Luxusmarken ebenfalls in Billiglohnländern produzieren. Auch das ist kritisch zu sehen. Primark und andere Fast-Fashion-Marken treiben das Ganze jedoch noch weiter auf die Spitze.
Unternehmensansiedlung: Was Kiel tun kann
Wir brauchen ein Umdenken in der Wirtschaft. Daher sollte Kiel keine Unternehmen mehr in die Stadt holen, die nicht im Sinne einer nachhaltigen Wirtschaft handeln. Im Bereich nachhaltige Produkte und Geschäftsmodelle ist die Kieler StartUp-Szene bereits Vorreiterin. Jetzt sollte diese Politik auch auf die gerade entstehenden Gewerbegebiete ausgeweitet werden. Ziel muss es sein, nur noch Unternehmen mit einer nachhaltigen Geschäftspolitik anzusiedeln.
Durch diese Fokussierung kann sich Kiel als klimafreundliche und soziale Stadt profilieren, was weitere positive Signale auf die Unternehmensansiedlungen und vor allem Fachkräften haben wird. Gerade für diejenigen Unternehmen, die sich als klimaneutral und nachhaltig profilieren wollen, spielt auch das Image des Wirtschaftsstandortes eine große Rolle.
Kiel kann sich als Wirtschaftsstandort für nachhaltige und klimafreundliche Unternehmen profilieren.
Warum Fokussierung außerdem wichtig ist, zeigen Standorte wie das Silicon Valley oder Odense. Nicht umsonst hat jeder Mensch eine Vorstellung davon, welche Art von Unternehmen im Silicon Valley zu finden sind. Die dänische Stadt Odense hat ihren Fokus auf Robotik gesetzt, wodurch sich weitere StartUps, Forscher*innen und Zulieferer für Robotik in der Stadt angesiedelt haben und Odense den weltweiten Ruf der Stadt der Robotik eingebracht haben. Durch Fokussierung wird also auch immer mehr KnowHow in die Stadt geholt, das sich durch Austausch weiterentwickeln kann.
Kiel als Wirtschaftsstandort sichern
Kiel steht als Wirtschaftsstandort in einer besonderen Verantwortung. Nicht nur bei der Entwicklung von neuen Geschäftsmodellen und in der Forschung, sondern auch für die Arbeitsplätze in der Stadt. Dafür muss Kiel die Zukunftsfähigkeit der Unternehmen fördern und darf nicht in die Falle tappen, den IST-Zustand zu beschützen. Nur weil etwas im Moment gut läuft – also die Auftragsbücher voll sein – heißt es nicht, dass die Unternehmen auch in Zukunft bestehen können. Gerade in einer Zeit der schnellen Veränderungen müssen Geschäftsmodelle immer wieder auf ihre Zukunftsfähigkeit hin überprüft werden. Hier kann die Stadt durch entsprechende Formate und die Vernetzung mit den Hochschulen das Foresight Mindset der Unternehmen fördern.
Zero Waste: Zukunft der Kreislaufwirtschaft
Primark und Co produzieren wie selbstverständlich für die Mülltonne. Das tun immer noch viel zu viele Unternehmen, obwohl Recycling und Verpackungsvermeidung schon seit Jahrzehnten ein Thema ist. Wir brauchen endlich eine Kreislaufwirtschaft auf allen Ebenen des produzierenden Gewerbes. Dass das möglich ist, zeigen Beispiele wie das eines Hamburger Büromöbelherstellers, der Möbel herstellt, vermietet und selbst recycelt. Möchten die Kunden neue Möbel, so können sie diese ganz einfach umtauschen. Weil alles aus einer Hand kommt, kann gewährleistet werden, dass alle Teile recycelt werden können. Beim Kunden wird dabei das Bedürfnis befriedigt, stets repräsentatives, unbeschädigtes und modernes Interieur in den Büroräumen zu haben. Kreislaufwirtschaft ist also keine Utopie, sondern ein Geschäftsmodell der Zukunft.
Nachhaltiges Wirtschaften sichtbar machen
Auch in Kiel gibt es viele Unternehmen und StartUps, die sich mit Nachhaltigkeit beschäftigen. Nur für die breite Masse sind sie noch zu unsichtbar. Das könnte geändert werden, indem in den Einkaufsstraßen und -centern Räume zur Verfügung gestellt werden, in denen explizit Shops mit nachhaltigen Produkten angesiedelt werden, im besten Falle direkt aus der Kieler Szene. Zudem sollte das Zero-Waste-Konzept, das gerade für Kiel entwickelt wird, auch Formate beinhalten, die die Menschen direkt dort informieren, wo sie konsumieren, also in den Einkaufsstraßen.
Mode hat nämlich auch eine Stärke. Das Gefühl, nicht mehr auf der Höhe der Zeit zu sein, wurmt Menschen. Nachhaltige Produkte müssen ihre ökologische Nische verlassen und als en Vogue wahrgenommen werden. Kiel hat das Potenzial, genau das bei den Kieler Bürger*innen zu erreichen.
Warum Merz, Lindner und Altmaier keine Ahnung von Wirtschaft haben
Arbeitsplätze dürfen durch Klimaschutz nicht wegfallen. Deutsche Unternehmen dürfen durch Klimaschutz nicht gefährdet werden.
Diese und andere Argumente werden gerne gegen strikten Klimaschutz ins Feld geführt. Hier haben einige Menschen keine Ahnung, wie Wirtschaft funktioniert.
Denn Wirtschaft will herausgefordert werden, nicht beschützt. Sie lebt von den Innovationen, die die Unternehmen entwickeln. Gerade heute ist der Markt höchst disruptiv. Einzelne Erfindungen können Branchenriesen in den Abgrund reißen, wie es Nokia und Blackberry durch das Smartphone von Apple passiert ist. Die Unternehmen müssen also agil auf den Markt reagieren können und dürfen nicht in der Sicherheit gewogen werden, dass genug Lobbyismus sie vor den Veränderungen schützen würde.
Behauptet wird weiterhin, dass der Klimaschutz das Problem wäre und nicht diejenigen Unternehmen, die sich nicht auf den Weg machen wollen.
Dennoch. Behauptet wird weiterhin, dass der Klimaschutz das Problem wäre und nicht diejenigen Unternehmen, die sich nicht auf den Weg machen wollen. Würde man das Gleiche bei der Digitalisierung sagen, dann würde das bedeuten, alle Fax- und Schreibmaschinenhersteller durch Gesetze am Leben zu halten. Und Lochkarten zum deutschen Kulturgut zu erklären. Albern? Jo, sage ich doch.
Erfolgreiche Unternehmen stellen sich den Herausforderungen des Marktes. Das funktioniert, weil sie ihre Kernkompetenzen kennen und schauen, wie sie diese auch auf andere Art und Weise einsetzen können. Eine Raffinerie baut ihre Anlage so um, dass sie zukünftig synthetische Kraftstoffe herstellen kann. Ein deutscher Wursthersteller setzt zunehmend auf den Verkauf von Fleischersatzprodukten.
Foresight Mindset: Politik braucht Mut für Visionen
Die Politik muss zudem wieder lernen, auch das Unmögliche zu denken. Sie muss ihre Visionen zurückbekommen und damit die Fähigkeit, die Zukunft zu denken. Denn das ist ihre Kernaufgabe. Sieht man sich Talkshows und Reden an, so erhält man aber eher den Eindruck, dass Wirtschaft nach unveränderlichen Naturgesetzen funktioniere. Das ist aber nicht der Fall.
Die Politik muss zudem wieder lernen, auch das Unmögliche zu denken.
Warum das so ist? Vielen der Politiker*innen, gerade aus der GroKo, fehlt ein Foresight Mindset. Sie sind nicht fähig, sich aus dem, was sie einmal gelernt haben, zu befreien. Oft wird dieses Verhalten dadurch verursacht, dass der eigene Erfolg mit der Richtigkeit des eigenen Wissens gleichgesetzt wird. Ein Fehlschluss. Denn der eigenen Kompetenz wird dadurch ein höherer Wert als dem Wissen anderer beigemessen. Eine Reflektion findet nicht statt.
Die deutsche Bundespolitik ist unfähig, auf Big Shifts und Meta-Ereignissen adäquat zu reagieren.
Zudem haben es Querdenker bei den meisten Parteien schwer, bestimmte Posten zu erreichen. Dadurch entsteht ein Elfenbeinturm, in dem sich Wissen im Kreis dreht, weil ihm der Input fehlt. Das macht die deutsche Bundespolitik unfähig, auf Big Shifts wie der Digitalisierung und Meta-Ereignissen wie der Klimakrise adäquat zu reagieren. Eigentlich müsste diese Entwicklungen zur Zerstörung von etablierten Denkmustern führen. Tun sie aber nicht. Stattdessen reagiert ein Großteil der Politik mit einer Schockstarre, wie wir sie aktuell bei der GroKo beobachten können.
Wenn wir die Welt von morgen gestalten wollen, müssen wir unsere Visionen zurückgewinnen. Beginnen wir also das Unmögliche zu denken und das, was wir gelernt haben, zu hinterfragen, um der Realität damit wieder ein Stück näher zu sein als heute.
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