In der letzten Rundfunkratssitzung hatten wir einige interessante Themen auf dem Tisch. Dazu gehörten der Umgang mit der AFD, besonders in der Live-Berichterstattung, die Reflexion der Corona-Berichterstattung und einen Verstoß gegen den Rundfunkstaatsvertrag.
Umgang mit der AFD in der Berichterstattung
Seit Januar wird das Thema „Umgang mit der AFD“ vom Rundfunkrat intensiv diskutiert, u.a. im Programmausschuss vom Januar 2024 (siehe Protokoll „Programmlicher Umgang mit verfassungsfeindlichen Parteien und Institutionen und deren Narrative und Rhetorik„). Bei der Klausurtagung im Juni soll es einen weiteren Arbeitskreis zum Thema geben.
Auch der Intendant des NDR berichtet in der Rundfunkratssitzung. Es gäbe keine einfachen Lösungen, das würden die Diskussionen innerhalb der ARD zeigen. Immerhin sitze die AFD im Bundestag und kann nicht einfach ignoriert werden. Zudem sei es für die ARD wichtig, aufzuzeigen, welche Konsequenzen sich für die Menschen aus den Vorhaben ergeben, die in den Wahlprogrammen aller in den Parlamenten vertretenen Parteien beschrieben werden, damit sich die Zuschauenden eine fundierte Meinung bilden können. Der AFD solle keine Sonderrolle gegeben werden, um sie nicht größer zu machen, als sie ist. Jedoch sei man sensibilisiert dafür, dass die Kommunikation von AFD-Vertretern eine andere ist.
Tatsächlich hat die Partei längst eine Gegenöffentlichkeit geschaffen, die auf Sendezeit in den Öffentlich Rechtlichen nicht angewiesen ist. Im Gegenteil werden Inhalte z.B. der Tagesschau oder einzelne Aussagen aus Interviews gerne aus dem Zusammenhang gerissen und z.B. auf TikTok und Youtube geteilt, um so diese alternative Realität weiter zu befüttern.
Der NDR verstärkt seine Bemühungen und unterstützt die Redaktionen mit Trainings, Gesprächsrunden und Hintergrundgesprächen mit z.B. CeMAS, um die Mechanismen rechtsradikaler Narrative und Rhetorik zu verstehen und so fundierte Entscheidungen darüber zu treffen, wer eingeladen wird, ob Interviews live gesendet werden und wie man sich am besten darauf vorbereitet. Zudem findet ein vertieftes Fact-Checking statt. Der Redaktionsausschuss des NDRs sensibilisiert zudem für das Spannungsfeld zwischen Meinungspluralität und Rechtsradikalität. Daneben verzichtet der NDR auf Formate wie z.B. Sommerinterview und lädt die AFD nur zu den großen Runden an den Wahlabenden ein, was sie auch muss.
Einen guten Beitrag zum Thema gibt es übrigens beim Medienmagazin ZAPP.
Zum Thema Live-Interviews und AFD hatte ich im Vorfeld einige Fragen eingereicht, nachdem der AFD-Vorsitzende Tino Chrupalla in der Talkshow Miosga aufgetreten war. Diese lauten:
Wie kam es zur Entscheidung, Herrn Chrupalla zu Misoga einzuladen?
Antwort des Programmdirektors des NDR: Die AFD sitze im Bundestag und die Redaktion habe sich deshalb dazu entschieden, Herrn Chrupalla einzuladen, weil man eine faire Auseinandersetzung mit allen Parteien haben wolle. Zudem sprächen die Antworten von Herrn Chrupalla auf die kritischen Fragen Miosgas für sich.
Gab es Überlegungen, den ersten Teil zu kürzen, um mehr Zeit zu haben, die Aussagen des Politikers ausgiebig einer kritischen Begutachtung zu unterbreiten, wie es im zweiten Teil der Show vorgenommen wurde?
Antwort des Programmdirektors des NDR: Die Show ist so konzipiert, damit man die Politiker auch auf einer persönlichen Ebene kennenlernen könne.
Dazu gab es dann einen Einwand aus dem Gremium, dass genau dieser Teil dabei helfe, die AFD zu normalisieren, worauf auch hier der Programmdirektor kein Problem sieht, sondern im Gegenteil noch einmal die kritischen Fragen von Frau Miosga lobt.
Wie kam es zur Entscheidung, Herrn Chrupalla nach den Russland-Verbindungen zu befragen, obwohl es zu diesem Zeitpunkt noch nicht genug Belege dafür gab und der Politiker es daher leicht hatte, die Vorwürfe abzuschmettern?
Antwort des Programm-Direktors: Wenn man das Thema nicht angesprochen hätte, obwohl es gerade aktuell war, dann wäre man darauf angesprochen worden.
Hat die Redaktion von Miosga etwas aus dem missglückten Versuch gelernt, einen AFD-Politiker in einer Live-Sendung zu stellen?
Antwort des Programm-Direktors: Die Sendung war nicht missglückt. Es sei wichtig, journalistisch nicht zu kapitulieren, indem man die AFD ignorieren würde. Es gehört zum Journalismus dazu.
Ich persönlich fand die Antworten nicht besonders überzeugend, genauso wie ich die Sendung nicht überzeugend fand. Denn ausgerechnet an dem Punkt, an dem besonders Nadine Lindner (Deutschlandradio) die Argumente des AFD-Vorsitzenden auseinander nahm, war die Sendezeit schon wieder vorbei. Zudem wurden wieder Falschbehauptungen im Raum stehen gelassen, da hilft auch kein nachträglicher Fakten-Check, der dazu auch eher mau war. Denn der rhetorische Trick von Rechtspopulisten ist es, falsche Dinge einfach zu behaupten und falsche Zusammenhänge plausibel darzustellen. Wer sie also stellen will, der ist laufend damit beschäftigt, einen Haufen Müll wegzuräumen und hat keine Zeit mehr, darzustellen, dass das Gegenüber gar keine Antworten für die Herausforderungen unserer Zeit hat. Es ist meiner Ansicht nach zu kurz gedacht, sich zurückzulehnen und darauf zu hoffen, dass sich der Zuschauende eigenständig eine Meinung bilden wird. Denn wir wissen alle, etwas wird immer hängen bleiben. Und wenn es nur ein Zweifel ist, den der Rechtspopulist gesät hat.
Deutsche Schuld – Namibia und der Völkermord
Zudem hat der NDR Rundfunkrat einen Verstoß gegen den Rundfunkstaatsvertrag festgestellt, mit knapper Mehrheit. Was war passiert?
Nach der Ausstrahlung von „Deutsche Schuld – Namibia und der Völkermord“, eine Reportage im trendigen Presenter-Format, kam es zu massiver Kritik gegen den Film, woraufhin der Beitrag erst verändert und dann ganz aus der Mediathek genommen wurde. Daraufhin erreichten den Rundfunkrat mehrere Programmbeschwerden von Personen, die interviewt worden waren und sich falsch dargestellt fühlten. In insgesamt drei Programm-Ausschuss-Sitzungen beschäftigten sich die Mitglieder des Rundfunkrates mit den Vorwürfen und analysierten gründlich die Inhalte und die Präsentationsform des Beitrages.
Am Ende war es für das Gremium eine Abwägungsfrage, denn die einzelnen Fehler im Beitrag stellen keinen Verstoß gegen den Staatsvertrag dar, jedoch die Menge führt dazu, dass ein falsches Bild über die Situation in Namibia vermittelt wird. Dazu beigetragen hat auch das Presenter-Format, das für ein so komplexes Thema als unpassend gewertet wurde. Persönliche Meinungen und Fakten hätten sich miteinander vermischt, so die Meinung vieler im Gremium.
Der Beschluss wird hier verlinkt, sobald er veröffentlicht wurde.
In den vielen Beratungsrunden wurde auch deutlich, wie undifferenziert das Instrument des Rundfunkrates ist, nur einen Verstoß gegen den Staatsvertrag feststellen zu können. Dieses scharfe Schwert führt in den meisten Fälle dazu, keinen Verstoß festzustellen, obwohl den Petent:innen (die Personen, die Programmbeschwerden einreichen) zum Teil Recht gegeben wird. Was es bräuchte wäre ein abgestuftes Bewertungsverfahren, mit dem der Rundfunkrat auch befugt ist, Mängel festzustellen oder einen Beitrag bzw. ein Programm zu rügen. Eine Quote von 99,1 Prozent Ablehnungen führt zu hohem Frust bei den Gebührenzahler:innen und kann, meines Erachtens, mit ein Grund sein, sich als Zuschauer:in des ÖRR nicht ausreichend gehört zu fühlen.
Insgesamt wünscht sich der Rundfunkrat vom NDR mehr Programme, die sich mit der deutschen Kolonialgeschichte auseinandersetzen, da dieses Thema in den deutschen Medien unterbelichtet ist. Einen guten Artikel zu „Deutsche Schuld – Namibia und der Völkermord“ gibt es auch auf Übermedien.
Corona-Berichterstattung: Reflexion und Learnings
Zum Schluss der Sitzung beschäftigte sich der Rundfunkrat mit der Corona-Berichterstattung. Dazu berichtete der NDR, welche Learnings daraus gezogen wurden. Zu Corona-Zeiten gab es ein hohes Informationsbedürfnis der Zuschauenden. Zudem erlebten die Menschen live mit, wie wissenschaftliche Evidenz entsteht und vermeintlich gesicherte Fakten bereits wenige Wochen später durch neue Erkenntnisse widerlegt wurden. Der NDR hat daraus gelernt und die wissenschaftliche Begleitung sowie die Weiterbildung seiner Mitarbeitenden ausgebaut. Statt Krisenberichterstattung ist es wichtig, lösungsorientierten Journalismus anzubieten. Auch aus Fehlern wie dem False Balancing wurde gelernt.
Das Protokoll der Sitzung findet Ihr hier, sobald es veröffentlicht ist: Sitzungen und Protokolle des NDR Rundfunkrates
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