Die Welt verändert sich rasant und die Politik sowie die Verwaltung scheinen nicht mehr hinterher zu kommen. Wie können die Kommunen sich dem komplexen Wandel stellen, ohne dabei baden zu gehen?
Komplexität ist nicht kompliziert
Die Welt ist kompliziert geworden. Nein sie ist komplex. Schuld daran ist ein rasanter Fortschritt, der Fluch und Segen zugleich ist. Strukturen die heute aufgebaut werden, können morgen schon veraltet sein. Pläne die heute beschlossen werden, sind morgen schon Schnee von gestern.
Während kompliziert eine Fragestellung meint, die nicht mit einer einfachen Antwort zu lösen ist, meint Komplexität einen evolutionären Prozess, der durch Wandel weitere Veränderungen verursacht. Die Erfindung der Elektrizität zog die Entwicklung von Elektrogeräten nach sich, die wiederum selbst Treiberin von Veränderung ist, zum Beispiel das Aufkommen von Massenmedien. Wie eine Billardkugel stößt Komplexität so viele Möglichkeiten an, dass niemand voraussagen kann, in welchen Löchern die Kugeln am Ende des Spiels landen werden.
Dieser evolutionäre Prozess trifft nun auf eine Verwaltung, deren Strukturen eher starr sind. Und auf eine Politikkultur, die sich ebenfalls in den letzten Jahrzehnten nicht wirklich angepasst hat.
Agile Verwaltung: Rette sich wer kann!
Immer mehr Aufgaben, immer mehr Projekte, die der Reform dienen, immer mehr Stellen, die dem Ganzen habhaft werden sollen, immer neue Versuche, das Ganze wieder zu verschlanken, ohne die eigentlichen Probleme zu lösen. Das Ergebnis sind Frust, Resignation und Menschen, die etwas verändern wollten, aber am Ende gehen.
Eine große Organisation ist deshalb erfolgreich, weil sie wie ein Uhrwerk laufen kann. Und wenn sie das nicht mehr tut, prüft sie sich selbst, optimiert die hakenden Komponenten und läuft weiter. Versäumt sie jedoch ihre Optimierung, so werden die Probleme mit der Zeit immer größer und größer, denn von außen kommen neue Zwänge hinzu. Eine Organisation, die es verpasst ihre Strukturen anzupassen ist wie ein alter Windowsrechner, der zu viel Datenmüll gesammelt hat. Jede*r kennt das Problem: mit dem PC lässt sich dann nicht mehr produktiv arbeiten.
Silodenken und separierte Zuständigkeiten
Die meisten Verwaltungen sind nach wie vor in einer Tradition der klaren Arbeitsteilung kultiviert. Diese Struktur bewirkt, dass jedes Mitglied der Organisation nur die eigene Zuständigkeit sieht oder sehen kann. Es entsteht das sogenannte Silodenken. Ein evolutionärer Prozess braucht aber einen hohen Informationsdurchfluss und interdisziplinären Schnittstellen. Nicht immer ist eine Zuständigkeit klar zu erkennen, was dann zu dem Phänomen führt, dass Anliegen von Bürger*innen oder Projekte von einem Amt zum nächsten geschoben werden, weil niemand das Anliegen bei sich einordnen kann. Wenn Ziele und Veränderungen nicht über die Grenzen der Ämter hinaus diskutiert werden können, dann lassen sich komplexe Prozesse wie die Digitalisierung oder die Klimaneutralität nicht bewältigen. Kurz gesagt: Der Wandel von einer statischen zu einer agilen Verwaltung ist dringend erforderlich.
Siehe auch Blogartikel „Zukunft – Transformation mit kommunalen Strategiezielen umsetzen„
Transformation heißt sich neu erfinden
Evolutionäre Prozesse brauchen eine Kultur des “inspect and adapt”, also der kontinuierlichen Prüfung und Anpassung. Dieses Vorgehen ist ein Novum für eine Organisation wie der Verwaltung, die wie keine andere für Rechtssicherheit und Kontinuität steht. Der erforderliche Mindshift ist eine große Aufgabe, eine sehr große. Dafür brauchen Mitarbeitende sowie Führungskräfte Zeit für Austausch und persönliche Reflexion, die sie kaum bekommen. Die Widerstände sind damit vorprogrammiert und verbrennen viel Kraft bei denjenigen, die die Veränderungen in der Verwaltung vorantreiben wollen oder sollen.
Wir sind Gewohnheitstiere und wenn jemand von außen kommt und sagt, dass die eigene Arbeit nun ganz anders angegangen wird, dann empfinden das die meisten Menschen als Einmischung in ihren Gestaltungsspielraum. Immerhin ist man ja auch stolz darauf auf das, was man bisher geschafft hat. Ich wurde mal von einem Leiter gefragt, was er in den letzten 40 Jahren falsch gemacht haben soll. Ich antwortete ihm: Nix, die Welt hat sich nur weiter entwickelt. Es ging um die Einrichtung einer Webseite(!!). Der Leiter sah es nicht ein, warum das Internet plötzlich so wichtig sein sollte. Und er wollte sich das vor allem nicht von einer jungen Studentin sagen lassen.
Veränderungsprozesse sind also auch eine Herausforderung für die eigene Persönlichkeit, vor allem bei Führungskräften. Darum braucht dieser Wandel viel Kommunikation, Mitgestaltungsmöglichkeiten und so manches “warme Händchen”, sprich zwischenmenschliche Sensibilität. Diese Zeit muss dringend eingeräumt werden.
Nicht zuletzt werden dann auch noch viele Projekte, die sich mit Transformation auseinandersetzen, neben den üblichen Aufgaben verrichtet, was ebenfalls zu Frust führt. Durch das ständige Herausreißen aus der Arbeit oder das Warten auf Zuarbeiten ziehen sich die Projektzeiträume wie Kaugummi auseinander. Im schlimmsten Fall werden Projekte nie wirklich abgeschlossen und irgendwann vergessen.
Was hier helfen kann?
Der evolutionäre Wandel der Verwaltungsstrukturen muss in den nächsten Jahren zur Hauptaufgabe der Kommunalverwaltung gemacht werden. Dafür muss die Politik diesen Wandel im eigenen Interesse aktiv unterstützen. Gleichzeitig müssen für die Mitarbeitenden Räume geschaffen werden, in denen sie Zeit haben, sich mit den neuen Methoden auseinander zu setzen und sich mit anderen auszutauschen. Innovationsprozesse müssen in die Breite der Belegschaft gebracht werden und können nicht mehr nur Sache von Wenigen in der Führung oder einer Fachabteilung sein. Denn es ist wichtig, die Menschen am Wandel zu beteiligen und die neuen Wege gemeinsam zu entwickeln und einzuüben. Der Mindshift der Mitarbeitenden sowie die Schaffung einer neuen Verwaltungskultur muss oberste Priorität haben und darf nicht zur Nebensache degradiert werden.
Kommunalpolitik mit Blick nach Innen
Die Veränderungsprozesse sind für die Verwaltung so groß, dass auch die Politik ihren Blick verstärkt nach Innen richten muss. Ohne eine funktionierende Struktur ist politische Gestaltung nicht möglich. Ein Schritt, der für viele Mitglieder in der Kommunalpolitik unliebsam ist, denn es lassen sich mit einer neu gebauten Schule nunmal eher Wählerstimmen gewinnen, als mit einer Verbesserung der Strukturen in der Verwaltung.
Auf der anderen Seite ist es auch nicht zielführend einen Antrag nach dem anderen in eine Art schwarzen Eimer zu kippen, in der Hoffnung, dass irgendwann die Kapazitäten für die Umsetzung da sind. Schnell ist dann der Reflex da, weitere Stellen oder Gelder zu beschließen, die dann aber wegen struktureller Probleme nicht besetzt bzw. ausgegeben werden können und damit nicht zur Beschleunigung beitragen. Das führt zu Frust bei den ehrenamtlichen Politiker*innen, die ihre Stadt politisch gestalten wollen. Die Konflikte zwischen Selbstverwaltung und Verwaltung sind damit vorprogrammiert.
Anstatt sich hinzusetzen und den schwarzen Peter hin und her zu schieben, braucht es einen konstruktiven Dialog zwischen Kommunalpolitik und ihrer Verwaltung. Dieses Verständnis füreinander kann durch Transparenz gefördert werden. Am Ende liegt es im Interesse beider Seiten, den Wandel gemeinsam zu gestalten und die sich daraus ergebenden Herausforderungen zu bewältigen. Dazu gehört auch ganz klar eine Hinterfragung der eigenen politischen Rituale und der eingeübten Erwartungshaltung.
Wandel von beiden Seiten betrachten
Jede Idee ist nur so gut wie ihre Umsetzung. Das heißt: Für den Wandel brauchen wir nicht nur eine Vision, sondern auch einen Plan für die Strukturen, die ihn umsetzen sollen. In einer sich stetig verändernden Welt des Fortschritts können Strukturen nur eines sein: Agil! Denn nur so sind sie flexibel genug, um auch kurzfristig auf Veränderungen zu reagieren.
Traditionen sind eine nette Sache, zumindest wenn sie mit Weihnachten zu tun haben. In der Verwaltung brauchen wir jedoch eine neue Kultur der kontinuierlichen Prüfung und Verbesserung. Diese funktioniert nur mit einer hohen Reflexionsfähigkeit aller Beteiligten, die sich stetig fragen müssen, ob sie den besten Weg gewählt haben, oder ob es nicht (inzwischen) einen besseren gibt.
Sich ständig selbst auf den Prüfstand stellen ist für jeden Mitarbeitenden eine Herausforderung. Aber dieser Mindshift zu einer agilen Verwaltung ist notwendig, damit der Wandel in den Kommunen konstruktiv begleitet werden kann.
Bild: Scott Webb on Unsplash
Beim Lesen des Artikels musst ich unwillkürlich an die 6 Prinzipien von Kanban denken:
https://agile-verwaltung.org/2019/10/03/evolutionaere-verbesserung-mit-kanban-grundprinzipien-und-kernpraktiken/
Aber Achtung, Agilität ist mehr als eine Methode. Agiltät ist eine Haltung, die auf den 12 Prinzipien des agilen Manifest fusst. Das kann tatsächlich nur im Zusammenspiel zwischen Kommunalpolitik und Verwaltung passieren. Ein großes Themenfeld, dass noch zu wenig in der Dikussion Beachtung findet. Um so mehr freut mich der Artikel. Danke!
Es ist noch ein langer Weg. Danke für dein Kommentar. Es ermutigt mich weiter zu machen.