Neulich sagte Robert Habeck in einer Sendung von Markus Lanz, dass Deutschland bei der Energiewende seine Bräsigkeit ablegen und sich auf den Hosenboden setzen muss. Auch für die Verwaltungsreform passt dieser Satz gut. Verschleppte Reformen, die schon vor 30 Jahren keine müde Mark wert waren, fallen uns heute hundertfach auf die Füße. Das gilt für die Digitalisierung, das gilt aber auch für immer mehr Kommunikationsfehler zwischen den Behörden, egal ob Bund, Länder oder Kommunen. Da werden wissenschaftliche Daten nicht erhoben und Meldungen mit Faxen erledigt, was in der Pandemie zu einer Überlastung der Gesundheitsämter und ihrer Mitarbeitenden geführt hat und wertvolles Wissen verloren gehen ließ. Da geht den Bafög-Ämtern das Papier aus, weil nicht Ende zu Ende digitalisiert wird. Da wachsen die Personalbestände, weil in der Krise mehr Menschen Wohngeld beantragen dürfen und damit die veralteten Strukturen überlastet werden. Besonders bitter ist es, wenn ein Abschiebungsverfahren nicht eingeleitet wird, weil eine Justizbehörde der Bundesbehörde BAMF nicht mitteilt, dass ein Mann nicht verschwunden, sondern im Gefängnis in Hamburg sitzt.
Manchmal entsteht der Eindruck, dass das deutsche Verwaltungswesen gerne ein bisschen bräsig ist, wenn es um die Reflektion der eigenen Strukturen geht. Blickt man dagegen nach Norden, dann sieht man, dass es auch anders geht. In Dänemark bestand aufgrund von Sparauflagen in den 1990er und 2000er Jahren hoher Handlungsbedarf. Daraufhin setzten sich die dänischen Verwaltungsmitarbeitende auf den Hosenboden und überlegten sich: „Wie können wir unsere Verwaltung so umbauen, damit wir die Arbeit für unsere Bürger:innen in der gleichen Qualität – oder sogar noch besser – fortführen können.”
In Deutschland gibt es zu wenig dieser Beamt:innen, was durchaus auch am hohen Anteil an Jurist:innen (besonders in Landes- und Bundesbehörden) liegt, die sogar Management und Kommunikationsaufgaben übernehmen, obwohl es hier viel besser ausgebildete Fachkräfte gibt. Das hat Einfluss darauf, warum die Innovationsfähigkeit deutscher Behörden nur marginal vorhanden ist. Wer sich vorwiegend mit der rechtlichen Ist-Lage beschäftigt hat weniger Möglichkeiten, sich ein Foresight-Mindset aufzubauen, d.h. ist schlechter darauf vorbereitet, sich vorzustellen, wie Dinge in der Zukunft anders funktionieren könnten; eine wichtige Voraussetzung für Pionierarbeit und innovative Entwicklungen. Und weil das so ist, versucht man in Deutschland von außen – meist in Form von Unternehmensberatungen – innovative Ideen in die Verwaltungen zu speisen. Das kann aber nicht funktionieren, wenn dort dieses neue Denken nicht auf fruchtbaren Boden fällt.
Darüber hinaus muss in Fachkräfte investiert werden, die sich mit Change-Prozessen auskennen. Ein Recht auf den Erhalt der persönlichen Gewohnheit kann es in einer transformativen Phase der Verwaltung nicht geben. Das löst Ängste aus, vor allem wenn das Gefühl entsteht, dass die Geschwindigkeit dieser Veränderungen für immer hoch bleibt. Dieser Umbruch ist aber nur deshalb so heftig, weil wir in Deutschland eben so bräsig waren, den schon länger sichtbaren Handlungsbedarf nicht Ernst zu nehmen. Darum muss etwas geschehen, denn die Alternative wäre, im Hamsterrad der Krisen völlig auszubrennen.
Es kommt aber noch ein weiterer Faktor hinzu. Denn es gibt sie: Die Beamt:innen und Angestellten, die das System Verwaltung verstehen und verändern wollen. Menschen, die sehr viel dafür tun, um ihre Ämter, Abteilungen und Mitarbeitende zu modernen Bürokratien umzubauen bzw. bei ihnen ein neues Verständnis für Verwaltung zu etablieren. Menschen, die sehr viel Kraft investieren müssen, weil sie Widerstände aus dem Weg räumen und dabei oft nicht gesehen werden. Stattdessen sind sie den Nörgeleien von Politiker:innen und Medien ausgesetzt, die ja auch nichts anderes wollen, als mit Meckern Wählerstimmen und Lesende zu gewinnen.
Ich denke, wenn wir nicht anfangen, diese mutigen Menschen zu sehen und weiter damit machen, in unserer typisch deutschen Manier auf sie einzudreschen, dann steht uns bald eine Verwaltungslandschaft wie die in Italien bevor. Denn wenn den Menschen, die Verwaltungsreformen umsetzen können, die Puste ausgeht, dann wird es auch morgen und übermorgen keinen Bauantrag geben, der schon in einer Woche bearbeitet wurde. Dann nützen uns auch die Datenhubs für Künstliche Intelligenz in der Verwaltung nichts. Dann brauchen wir erst gar nicht um die immer teurer werdenden IT-Fachkräfte buhlen.
Stattdessen müssen wir in Deutschland unsere Bräsigkeit ablegen und hingucken, was diese Beamt:innen und Angestellte und ihre Netzwerke rund um Creative Bureaucracy, Agile Verwaltung, beim Deutschen Städtetag und viele mehr für die Modernisierung der deutschen Verwaltung tun. Das gilt sowohl für Medien als auch für Politiker:innen, hier mehr Interesse zu zeigen. Denn auch das ist Teil einer erfolgreichen Transformation. Menschen in den Behörden können von ihren Führungskräften nicht von einer neuen Art des Arbeitens und Denkens überzeugt werden, wenn die Katalysatoren dieser Ideen nur über Krisen schreiben und nicht Möglichkeiten aufzeigen. Denn das führt nur dazu, dass die Schotten dicht gemacht werden. Und wir können kein Interesse daran haben, dass Fachkräfte, die das KnowHow haben die deutsche Verwaltung grundlegend zu verändern, frustriert dem öffentlichen Dienst den Rücken kehren.
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